Monday, February 27, 2012

Frisch aus der Mülltonne: Private Finanzierung des Gotthardtunnels

In Abwandlung eines berühmten Zitats von Ephraim Kishon ist das grösste Unglück der Ideen der Oekonomie, dass sie sich verwirklichen lassen. Das ist aber auch gleich ein grosser Vorteil, denn so lässt sich beweisen, dass diese Ideen nicht funktionieren. Nicht dass die Wirtschaft oder ihre Ideologen der Economiesuisse auf diese Beweise etwas geben, denn wie sonst lässt sich erklären, dass sie eine Idee aus der Mülltonne des Neoliberalismus hervorgekramt haben, deren Versagen so spektakulär ist, dass sie in den Annalen der Dümmsten Ideen Aller Zeiten ein würdiger Vertreter wäre.

Es geht um die Private Finanzierung der zweiten Gotthardröhre, deren Vorteile eine Studie [PDF] der Economiesuisse angeblich belegt. Das der Idee zugrundeliegende Prinzip nennt sich private finance initiative (PFI), eine spezielle Form der public private partnerships (PPP), bei welcher öffentliche Infrastrukturprojekte privat finanziert (und allenfalls betrieben) werden. Ursprünglich entwickelt in Australien und Grossbritannien, wurde 1992 das erste PFI-Bauvorhaben in Grossbritannien durch die Konservative Regierung unter John Major als Vorzeigeprojekt aufgegleist. Das Scheitern des Vorhabens wurde von George Monbiot in allen Details in seinem Buch Captive State: The Corporate Takeover of Britain sowie in einem Artikel im Guardian aufgezeigt. Hier eine Kurzfassung:

Die Skye Bridge oder Why have we paid £93m for a £15m bridge?:
  1. Die Skye Bridge, gebaut auf Geheiss der Konservativen Regierung, war das erste Projekt in Grossbritannien, das privat finanziert wurde. Unter PFI werden öffentliche Projekte wie Strassen, Brücken, Schulen und Spitäler vom Privaten Sektor gebaut und dann betrieben oder an den Staat vermietet. Weil der Privatsektor effizienter als der Staat ist und ausserdem alle Risiken trägt, kosten den Steuerzahler solche PFI-Projekte weniger.
  2. Wenn die Projekte privat finanziert werden sollen, heisst es natürlich nicht, dass die Projekte tatsächlich privat finanziert werden. Der Staat hat also 6 Millionen Pfund für die Zufahrtswege und 3 Millionen Pfund für Beraterdienste und den Landkauf beigesteuert. Die Europäische Investitionsbank hat weitere 13 Millionen Pfund beigesteuert -- unter Verletzung ihrer eigenen Kriterien.
  3. Es kam zu Kostenüberschreitungen und Verzögerungen. Wenn der Privatsektor das Risiko trägt, heisst es natürlich nicht, dass der Privatsektor tatsächlich das Risiko trägt. Also hat der Staat 4 Millionen Pfund als Entschädigungen für diese Kostenüberschreitungen bezahlt.
    Anmerkung: Es ist wichtig, festzustellen, dass in diesem Moment das Experiment PFI gescheitert ist, denn der Zweck desselben war ja gerade, die Effizienz und das Risikomanagement des Privatsektors auszunutzen. Die Regierung hatte letztlich bezahlt, um zu verschleiern, dass ihre Idee des PFI nicht funktioniert.
  4. Am Tag der Eröffnung der Skye Bridge am 16. Oktober 1995 stellte die Regierung den Fährbetrieb zwischen der Insel und dem Festland ein. Der vielgepriesene Wettbewerb ist etwas für Warmduscher. Die Betreiberfirma nutzte die Monopolstellung aus und verlangte die weltweit höchsten Mautgebühren (bezogen auf den km): £5.60 pro Ueberquerung (rund Fr. 14.- im 1995).
  5. Nach massiven öffentlichen Protesten wegen der hohen Tarife hatte die Regierung mit dem Betreiber einen Nachlass ausgehandelt, sofern Mehrfahrtenkarten (20 Ueberfahrten) gelöst werden. Die Differenz bezahlte der Staat (Total 7.6 Millionen Pfund).
  6. Nach neun Jahren eines ursprünglich geplanten 27-Jahre-Vertrags, während dessen die Betreiberfirma 33 Millionen Pfund als Gebühren kassiert hatte (bei Betriebskosten von nur 3.5 Millionen Pfund, eine Gewinnmarge von nahezu 90%), kaufte die Schottische Lokalregierung die Brücke schliesslich für 27 Millionen Pfund zurück.
  7. Total hatten der Staat, die Autofahrer (die bei einer öffentlichen Brücke nichts hätten bezahlen müssen) und öffentliche Investitionsbanken zusammen 93.6 Millionen Pfund für eine Brücke bezahlt, die nach Angaben der Betreiber ursprünglich 25 Millionen Pfund gekostet hatte.
  8. Unabhängige Analysten haben errechnet, dass die Brücke nicht mehr als 15 Millionen Pfund gekostet hätte, wenn der Staat sie selbst hätte bauen lassen. Die Brücke wurde damit mehr als 5 fach überzahlt.
Die Skye Bridge wurde zum Vorzeigeprojekt, aber nur in dem Sinne, dass sich bei allen weiteren PFI Projekten (Spitäler, öffentliche Bauten usw) ähnliche Verhältnisse in der Form von z.T. erheblichen Mehrausgaben ergeben hatten. Es ist auch nicht so, dass dieses Versagen überraschend gekommen war. Schon im Dezember 1993 hatte der spätere Schatzkanzler Grossbritanniens, Alistair Darling, davor gewarnt, dass die "scheinbaren Einsparungen zum jetzigen Zeitpunkt durch beachtliche finanzielle Verpflichtungen in den Folgejahren zunichte gemacht werden könnten". Aus diesem Grunde hat das britische parlamentarische Schatzkommitee festgestellt, dass u.a. auch wegen den höheren Darlehenskosten seit der Finanzkrise "PFI nun eine 'extrem ineffiziente' Methode [ist], Projekte zu finanzieren".

Dass die private Finanzierung des Gotthardtunnels, in der Sprache der Erfinder von PFI, ein disaster waiting to happen ist, sei mit folgenden offenen Fragen und Ueberlegungen belegt.
  • Wer baut/bezahlt die Zufahrtswege? Eine Mautstelle benötigt viel Platz, da mehrere Parallelspuren zur Bezahlung der Maut bereitstehen müssen (der Verkehr verlangsamt sich zum Bezahlen praktisch bis zum Stillstand). Oft bezahlt der Staat diese Rechnung (vgl Skye Bridge).
  • Der Staat soll gemäss Planung die Gebühr für den Schwerverkehr (Fr. 81.- bis 123.-) bezahlen, da das Transitabkommen mit der EU solche Strassengebühren verbietet. Dies entspräche also einer Subvention des Transitverkehrs durch die Eidgenossenschaft: Steuergelder fliessen praktisch direkt und ungehindert in die Kassen der Betreiberfirma. Bei dem Volumen und erwarteten Zuwachs des Transitverkehrs ist dies ein Fass ohne Boden für den Bund.
  • Was passiert, wenn die Sanierung der ersten Röhre abgeschlossen ist? Ein öffentlicher Tunnel (gratis) konkurrenziert dann einen kostenpflichtigen privaten Tunnel. Wird dann die Economiesuisse dafür lobbyieren, dass die Betreiberfirma auch die öffentliche Röhre leasen und gebührenpflichtig betreiben kann? Immerhin soll der Vertrag über 50 Jahre laufen, aber die Sanierung dauert höchstens ein Jahrzehnt.
  • Was passiert, wenn der Unmut im Volk so gross wird, dass der Bund gezwungen wird, die Brücke von den Betreiberfirmen zurückzukaufen (analog der Situation bei der  Skye Bridge). Wieviel muss der Bund dann für den Tunnel bezahlen? Muss der Bund dann auch für den "entgangenen Gewinn" einstehen? Muss der Bund dann auch für "seine eigene" öffentliche Röhre bezahlen, die zu diesem Zeitpunkt vielleicht bereits an die Betreiberfirma verleast ist?
Wenn die bisherigen Erfahrungen mit PFI als Massstab genommen werden, dann hat die Idee der privaten Gotthard-Tunnel Finanzierung das Potential, zum teuersten Abenteuer zu werden, dass die Schweiz je eingegangen ist. Das Schweizer Volk und der Bundesrat tun gut daran, sich von den neoliberalen Schalmeienklängen der Economiesuisse nicht einlullen zu lassen. Der Neoliberalismus hat in den 30 Jahren seiner Existenz noch nie funktioniert, und das gilt ausnahmslos auch für alle weiteren Ideen aus der neoliberalen Mülltonne.

Facts & Figures:
Studie zu zweiter Gotthard-Röhre Tagesschau des Schweizer Fernsehens vom 20.02.2012

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