Friday, July 13, 2012

Die Geschichte vom Spanischen Raub

"Grossvater, erzähl' uns eine Geschichte!" rief Lisa. Vor dem Fenster fielen schwere Schneeflocken, und im Kamin prasselte lustig ein grosses Feuer. "Ja, erzähl' uns eine Geschichte!" rief nun auch Peter. Der Grossvater blickte von seiner Zeitung auf. "Was für eine Geschichte denn?" fragte er. "Eine spannende Geschichte", rief Peter, "mit Räubern und Königen!" "Eine wahre Geschichte!" fügte Lisa hinzu.
Der Grossvater nahm ein Zug seiner Pfeife. "Ihr wollt eine wahre Geschichte von Räubern und Königen hören? Nun gut, setzt Euch zu mir. Ich erzähle Euch so eine Geschichte!"

"Es war einmal weit, weit weg in Spanien ein kleines Land, in dem regierte ein König, der bei allen im Volk beliebt war. Er war sparsam und schaute stets darauf, dass es allen im Land gut ging. Alle Leute zahlten jedes Jahr ihren Zehnten und fanden nichts dabei, denn sie wussten, dass der König sorgsam mit dem Geld umgehen würde.

Eines Tages begab es sich, dass ein gerissener und heimtückischer Räuber namens Manuel Trickledon ins Land kam, der darauf sann, das kleine Königreich auszurauben. Er freundete sich mit den reichen Kaufleuten im Land an, schmeichelte ihnen und erzählte ihnen, dass in anderen Leuten die Reichen keinen Zehnten zu entrichten hatten, da man wusste, dass sie mit ihrem Reichtum dafür sorgten, dass das Land vorankam. Würde man hier den Reichen den Zehnten ebenfalls erlassen, dann würde auch das kleine Königreich bald aufblühen.

In den Boomjahren liefen die Schulden der spanischen Volkswirtschaft aus dem Ruder. Nicht die Schulden des Staates, sondern des Privatsektors, also der privaten Haushalte, Unternehmen und Banken.
[Irlands und Spaniens] Problem waren nicht öffentlicher Schlendrian und zu hohe Staatsschulden, sondern ein zu grosser Schuldenaufbau im Privatsektor.
Trickledon veranlasste die Reichen, bei der Bank des Landes Geld auszuleihen und immer mehr und immer grössere Schulden zu machen, das Geld zu verprassen, sich schöne Häuser und Ländereien zu kaufen und es sich mit dem geliehenen Geld gut gehen zu lassen. Die Schulden Trickledons, der sich natürlich mit beiden Händen daran beteiligte, und der übrigen Reichen bei der Bank wurden so immer grösser, und ihr Hunger nach weiterem Geld der Bank wurde immer ungehaltener, bis eines Tages die Bank kein Geld mehr hatte. Das war schlimm, denn nun konnten auch die kleinen Kaufleute und Handwerker kein Geld mehr ausleihen, wenn sie Tuch oder Mehl oder Werkzeuge kaufen wollten. Das Gewerbe im Land brach ein, und es schien, dass schon bald Hunger herrschen müsste, wenn nicht jemand dafür sorgte, dass die Bank wieder Geld zum Verleihen hatte.

So ging Trickledon zum König und sagte ihm, dass der König mit dem Gold in seiner Staatskasse die Bank vor dem Untergang retten müsse, falls er nicht wolle, dass das ganze Gewerbe im Rand mangels Geld untergehen würde. Da dem König keine andere Wahl blieb, liess er die Bank im Land mit Geld aus der Staatskasse auffüllen. Nun hatte die Bank wieder Geld, und Trickledon und die Reichen im Lande begannen sogleich wieder, Geld zu leihen und zu verprassen, sodass bei der Bank das Geld schon bald wieder zur Neige ging und sie beim Könige weitere Mittel erbetteln musste. Das ging eine Weile so weiter, bis sich schliesslich auch die Staatskasse zu leeren begann und eines Tages das letzte Geldstück an die Bank geliefert werden musste.
Als Folge der Verstaatlichung wanderten die Verbindlichkeiten der drei wichtisten Banken [Irlands] auf die Bilanz des irischen Staates, und die Verschuldung Irlands schoss von gut 24 Prozent auf knapp 100 Prozent des Bruttoinlandproduktes.
Der König hatte nun kein Geld mehr, da er alles aufbrauchen musste, um das Loch in der Kasse der Bank auszugleichen, die das ganze Geld Trickledon und den übrigen Reichen im Land geliehen hatte. Da der Staat nun selber verschuldet war und Geld brauchte, um die Beamten und Staatsdiener zu bezahlen, kam Trickledon zum König und anerbot sich, ihm Geld zu borgen. Er hatte es sich nämlich gut gehen lassen und war mit all dem von der Bank geborgten Geld nun selber reich geworden. Da er aber dem Schuldenstaat nicht einfach Geld leihen könne (er wüsste ja nicht, ob es jemals zurückbezahlt werden könne), müsste er eine Gegenleistung haben. Trickledon zeigte dabei auf all die Gewerbe, die dem König gehörten, und sagte ihm, er müsse diese an ihn und die anderen Reichen verkaufen, sonst könne er ihm kein Geld leihen. Das gefiel dem Könige nicht, denn seine Gewerbe und Werkstätten lieferten Wasser für sein Volk, besorgten das Post- und Meldungswesen, sicherten Ruhe und Ordnung und alles weitere, das für das Leben im Lande notwendig war.

Spanien treibt Privatisierungen voran
Handelsblatt, 30.04.2012
Spanien prüft Privatisierung der Post
finanztreff.de, 26.06.2012
Aber in den Staatskassen war kein Stück Blech mehr zu finden, und so verkaufte der König schliesslich die Gewerbe und Werkstätten, um wieder etwas Geld in den Staatskassen zu haben. Trickledon und seine Reichen besassen nun das ganze Geld des Landes und dazu auch noch alle königlichen Gewerbe und Werkstätten, und da das Volk nun ihr Wasser und andere notwendigen Güter teuer von Trickledon und seinen reichen Genossen abkaufen musste, verjagte es den einst geliebten König mit Schimpf und Schande aus dem Lande. Dies", so schloss der Grossvater, "ist die Geschichte vom Spanischen Raub".

Peter und Lisa hatten gebannt die Geschichte angehört, aber nun begannen sie zu lachen. "Grossvater", riefen sie lachend, "so etwas ist doch gar nicht möglich! Es kann ja gar nicht sein, dass der König die Schulden der Reichen übernehmen muss, nur um am Ende ihnen alle Gewerbe und Werkstätten überlassen zu müssen, weil er nun selber verschuldet ist. Das Volk hätte diesen Betrug doch durchschaut!" Der Grossvater begann zu schmunzeln. "Meinst Du, ich hätte Euch angeschwindelt?" - "Aber ja, die Geschichte ist ja gar nicht wahr, sondern erfunden und erdichtet!" Und damit begannen alle zu lachen und hielten sich die Bäuche, und hörten nicht auf zu lachen, bis die Bäuche zu schmerzen begannen.