Saturday, March 30, 2013

Ökonomie - Die Theologie des Marktes

Ich habe schon lange die These vertreten, dass Ökonomie keine Wissenschaft sei, weil sie an "Wissen" nicht interessiert ist. Mein letzter Post über den Mindestlohn ist ein case in point, wie der Angelsachse sagt. Obwohl Mindestlöhne seit Jahren exisitieren, und deren Wirkung auf Arbeitslosigkeit daher beobachtet werden kann, lehrt die Ökonomie immer noch die Orthodoxie. Ich nenne dieses Phänomen Faktenresistenz.

Trotzdem hat es aber eine gewisse Zeit gedauert (und einige ökonomische Bücher benötigt), bis ich eingesehen hatte, dass Ökonomie in Tat und Wahrheit eine Theologie ist. Der Glaube an den Freien Markt ist ein religiöser Glaube mit all ihren Dogmen, Evangelien, Sekten, Priestern, Ketzern usw. Im Gegensatz zu einer Wissenschaft, in der es schon namentlich darum geht, "Wissen" zu "schaffen", hat die Ökonomie den Zweck, sich selber und — da eine Religion nie damit zufrieden ist, den wahren Glauben zu haben, sondern ihn immer auch andern aufzwingen muss — alle andern davon zu überzeugen, dass ihr Gott (Markt) den längeren Penis hat als alle andern Götter.

Im blog Unlearning Economics (empfohlen für jeden Kritischen Ökonomen!) zitiert der Autor aus der Einführung zum Kapitel 11 Markets, Efficiency and the Public Interest des Buches Economics von John Sloman
First we show how a perfect market economy could under certain conditions lead to ‘social efficiency.’ … [we then] show how markets in practice fail to meet social goals. These failures provide the major arguments in favour of government intervention in a market economy.
Diese Zeilen sind äusserst erhellend und zielen auf den Kern meiner ökonomischen Kritik. Der Autor ist in diesem speziellen Fall besonders hilfreich, da er im wesentlichen mein Argument explizit macht:
Zuerst wird gezeigt, dass ein Perfekter Markt (Gott) zu (absoluter) sozialer Effizienz führt,
dann wird gezeigt, dass ein realer Markt (Welt) diese sozialen Ziele verfehlt.
Man beachte, dass das ökonomische Modell perfekt und die Realität mangelhaft ist und deshalb die geforderten Ziele verfehlt.

Dies ist keine Wissenschaft, sondern Theologie, denn in einer Wissenschaft, etwa der Meteorologie, ist es immer das idealisierte Modell, das mangelhaft ist, da es die Realität gerade wegen seiner Idealisierungen nicht vollkommen abzubilden vermag und daher von dieser abweicht. Diese Umkehrung der Bedeutung von Idealisierung und Realität ist der Kern einer Theologie: Gott ist unfehlbar. Es ist immer die Realität, die mangelhaft ist.

Wäre die Ökonomie eine Wissenschaft, dann würde wie in der Meteorologie ein allfällig idealisiertes Modell dazu verwendet werden, den realen Markt zu verstehen, um danach das Modell (und eben nicht die Realität!) zu verfeinern, damit letzteres nach und nach genauere Voraussagen zu produzieren vermag. Tatsächlich aber besteht das ökonomische Projekt darin, die mangelhafte Realität dem Perfekten Modell anzugleichen, und damit quasi einen Ökonomischen Gottesstaat (einen Total Freien Markt) zu errichten.

1 comment:

  1. Bei NMTM läßt sich dieser Kommentar wegen Doppelposting nicht mehr unterbringen, obwohl er nicht erschienen ist:

    @Ralph Sommerer

    Besten Dank für die Blumen! :-)

    Ja, Steve Keen hat schon etliche virulente Kritikpunkte an der Neoklassik gefunden und ausformuliert und ist nun dabei sein Programm zu etablieren, womit ökonomische Sachverhalte in einem konsistenten Rahmen diskutiert werden können. So sehr solche Programme zu begrüßen sind bleibt für mich immer die Frage offen, welche Idee von Wirtschaft damit transportiert wird, die auch eine Chance hat, die "Herzen" der Menschen zu erreichen. Man kann ja auch hier in diesem Blog anschaulich sehen, wer sein Herz an welche Theorie vergeben hat, so daß Diskussionen meistenteils sich auf den lapidaren und öden Austausch von Standpunkten beschränken.

    Ein Simulationsmodell macht aber noch keine neue Idee des Wirtschaftens aus, dazu braucht man eine neue Funktionsvorstellung die ebenso eingängig ist wie das konstruierte Konzepte des "Marktes", dessen Existenz mit seiner Funktionsweise und als allgemeines Handlungsprinzip noch niemand auf dieser Welt nachweisen konnte. Aber dennoch kann man an die Wirksamkeit des Marktmechanismus glauben - da stören dann auch dem widersprechende Tatsachen wie fallende Grenzkostenkurven selbstverständlich nicht.

    Ich habe ja mit meiner Jesse James Geschichte mal versucht den Unterschied herauszustellen, der zwischen Gold als Ware und Geld als sozialer Beziehung besteht. Ich habe den Eindruck, daß mir das deswegen mißlungen ist, weil der Glaube an die Notwendigkeit des materiellen "Wertes" es verhindert zu sehen, daß Ökonomie aus sozialen (Verpflichtungs-) Beziehungen besteht. Hat man das erst einmal verstanden fällt die Institutionalisierung des Geldes quasi als Nebeneffekt mit ab. Da muß man nicht mehr vom Geld als Tauschmittel faseln, sondern kann sich den wichtigen Dingen zuwenden, die sich aus der Verkettung von Schuldrelationen ergeben.

    Das war mal alles bekannt...

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