Friday, March 30, 2012

Unredlichkeit als Wissenschaft

Dieser Blog-Eintrag erschien in abgeänderter Form als Kommentar zum Artikel Wenn Staatsausgaben sich selbst bezahlen auf dem Never Mind The Markets-Blog der Berner Zeitung.

Für eine sogenannte Wissenschaft, die keine ist, macht die Oekonomie recht unverschämt klare Aussagen, oft ohne jede Vorbehalte. Klare Aussagen sind gefährlich, weil sie gestatten, sie an der Realität zu überprüfen. Alle Religionen haben ursprünglich solche Aussagen gemacht, mit verheerenden Resultaten, da die Wissenschaft überzeugendere Argumente liefern konnte. Die Kirche hat zuerst mit Folterzange und Scheiterhaufen ihre Position eine Weile lang behaupten können, musste schliesslich aber unter der Last der Argumente das Feld der realen Welt den Wissenschaften überlassen.

Der Oekonomie stehen diese Mittel nicht zur Verfügung, aber sie kann sich recht effektiv der Realität verweigern, weil ihre Thesen, obwohl sie falsch sind, einer Elite nützen, die die Thesen daher verteidigt. Dem Reichen ist es egal, ob supply-side funktioniert, solange er davon profitiert. Ausserdem kann die Oekonomie ihre Thesen in Formeln kleiden und damit tarnen, bzw. verlangen, dass nur Initiierte an oekonomischen Argumenten teilnehmen. Ein deutscher Oekonomie-Professor hat kürzlich verlangt, der Pöbel solle sich aus der Oekonomie heraushalten, da er sie sowieso nicht verstehe, wobei “Pöbel” mein Ausdruck ist, nicht seiner.

Dass die Oekonomie den Betrug gewissermassen bereits im Namen trägt, macht sie nicht gerade vertrauenswürdiger. Oekonomie hiess im englischen ursprünglich “political economy” und wurde dann in “economics” umbenannt, um durch die Nähe zu “mathematics” wissenschaftlichkeit vorzugaukeln. Im übrigen nennen die Oekonomen ihre Behauptungen “Theorie”, was in der realen Wissenschaft eine klare Bedeutung hat: Eine wissenschaftliche Theorie ist ein funktionierendes — wenngleich nicht unbedingt vollkommen wahres — Modell der Realität. Newton ist eine Theorie, und mit ihr lassen sich Flugzeuge bauen, die fliegen, Schiffe, die nicht untergehen, und Bomben, die ihr Ziel treffen, und obwohl Einstein einige newton’sche Aussagen korrigiert hatte, fliegen Flugzeuge immer noch.

Was Oekonomen Theorien nennen sind eigentlich Hypothesen, denn entweder sind sie nicht überprüfbar, oder widersprechen sich gegenseitig (und können daher nicht alle gleichzeitig wahr sein), oder funktionieren oft einfach nicht und sind daher ein untaugliches Modell der Realität.

Da man der Oekonomie nicht trauen kann, müssen wir auf die Erfahrung zurückgreifen. Obwohl es bereits eine Generation her ist und sich kaum mehr jemand mehr daran erinnert, hat die Soziale Marktwirtschaft eine recht anständige Erfolgsbilanz aufzuweisen — immerhin haben wir ihr den Mittelstand zu verdanken, der jetzt unter Supply-Side stagniert oder sogar einbricht.

Wenn man zwischen zwei Modellen wählen könnte: eins von dem man weiss, dass es schon einmal funktioniert hat (Mittelstand!), und eins, von dem man weiss, dass es nicht funktioniert (trickle-down!), welches würde ein vernunftbegabter Mitteleuropäer wohl wählen? Und welches ist oekonomischer Mainstream? Was ist daraus zu schliessen?

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