Sunday, January 4, 2015

Die Tragödie des Merkels

Im Blog Never Mind The Markets des Schweizer Newsnets (Tages-Anzeiger, Finanz und Wirtschaft, Berner Zeitung und andere) diskutieren die Autoren regelmässig die Situation im Euro-Raum und im Besonderen die Rolle Deutschlands. Als wichtigste Volkswirtschaft und Haupt-Exporteur innerhalb des Euro-Raums hat Deutschland einen massiven Einfluss auf (und Verantwortung für) die Situation der übrigen Länder und speziell der Krisenländer an der Peripherie.

Ein Problem für die EU sei, so schreiben die Autoren, dass Deutschland zu viel exportiere und zu wenig importiere. Letzteres sei darauf zurückzuführen, dass in Deutschland zu wenig konsumiert werde, was wiederum daher herrührt, dass die Löhne in Deutschland im Vergleich zum während des letzten Jahrzehnts erwirtschafteten Produktivitätsgewinn viel zu tief seien. Diese Besonderheit Deutschlands wird oft als Kritik an dessen Erfolg aufgefasst, auf die dann in den Kommentaren mitunter säuerlich reagiert wird. Tatsache ist, dass das Erfolgsmodell Deutschland -- dessen Soziale Marktwirtschaft -- immer mehr einem angelsächsisch inspirierten Markt-Liberalismus weicht, mit Tiefsteuern für Unternehmen, dem Abbau von Sozialen Leistungen und Privatisierungen von Staatsunternehmen und Rentenkassen. Wie überall, führen diese Massnahmen auch in Deutschland zum Niedergang des Mittelstands.

Das Tragische an der Situation Deutschlands ist, dass die Staatsführung, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel Grundkenntnisse in Wirtschaft fehlen. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Hier die Begründung:

Angela Merkel 1990
1. Bundeskanzlerin Merkel ist als "Ossi" in einem sozialisti­schen Wirtschafts­gebiet aufgewachsen und geformt worden. Ihr fehlt daher das vegetative Gefühl für die Funktionsweise einer westlich, d.h. markt-ideologisch geführten Wirtschaftsordnung. Da sie kein Gefühl dafür hat, wie eine Marktwirtschaft funktioniert, kann man ihr jede ideologische Verdrehung unterjubeln.

2. Vor dem Mauerfall hatte in Deutschland gerade das grösste Experiment der neueren Geschichte begonnen und Fahrt aufgenommen: der Umsturz der Sozialen Marktwirtschaft in eine deregulierte, privatisierte und steueroptimierte Liberale Marktwirtschaft. Die bittere Ironie der Geschichte war ja gerade, dass die Montagsdemonstranten vor der Wende in der DDR "Keine Experimente" skandiert hatten, weil sie keinen neuen "Dritten Weg" beschreiten, sondern einfach die Westliche Wirtschaftsordnung unverändert übernehmen wollten. Wie konnten sie ahnen, dass man im Westen gerade dabei war, die ersehnte Wirtschaftsordnung unzustürzen und damit ein gigantisches Experiment zu starten. Viele der impliziten Versprechen wie Verteilungs- und Steuergerechtigkeit, die während des Kalten Kriegs dem Kapitalismus abgerungen worden waren, wurden im Nachhall nach der Wende von den Liberalen aufgekündigt. Das konnte Bundeskanzlerin Merkel natürlich nicht wissen. Ihr ökonomischer Referenzpunkt wurde wie bei einem Hütchenspieler unter der Hand abgeändert.

3. Als Physikerin ist Bundeskanzlerin Merkel darauf konditioniert, dass Wissenschaftler eine Ahnung von ihrer Materie haben, und dass Lehrbücher den Stand des Wissens wahrheitsgemäss wiedergeben. Beides ist im Fall der Ökonomie nicht gegeben: Ökonomen haben wohl Ahnung von Ökonomie, aber keine Ahnung von Wirtschaft, und Lehrbücher, vor allem einführende Literatur, verfälschen oder ignorieren den Stand des Wissens (vor allem Tatsachen, die empirisch widerlegt wurden) und haben einen von Ökonomen durchaus unbestrittenen pro-Markt-Bias.

Diese teuflische Dreifaltigkeit von fehlender persönlicher Erfahrung, Täuschung über den wahren Charakter der eigentlich herbeigesehnten Wirtschaftsordnung (unterschobene Liberale statt  erwünschte Soziale Marktwirtschaft) und schliesslich Täuschung über den wahren -- nämlich ideologischen -- Charakter der Wissenschaft Ökonomie, führt dazu, dass Bundeskanzlerin Merkel wirtschaftliche Massnahmen ergreift, die nicht funktionieren und immer weiter von einer gerechten, effizienten und krisenarmen Sozialen Marktwirtschaft wegführen.

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